Die 3 Typen des Standards (Arbazie, Bagnères, FaceRase):
Es geht mir in diesem Beitrag nur um die Typen von Arbazie und von Bagnères und um einen Vergleich zwischen diesen Typen einerseits und dem heutigen Erscheinungsbild des BdP andererseits.
An der Ausarbeitung des Standards haben in den frühen 1920er Jahren mitgewirkt „des montagnards, des bergers, des utilisateurs parmi lesquels des zootechniciens notoires“ (Dhers, Chiens, 1956, p. 30-31). Wichtigster Mitarbeiter an der Redaktion des endgültigen Standards war gewiss Bernard Sénac-Lagrange (im Folgenden: BSL ), wie er selbst hervorhebt am 26.02.1928 in „L’Éleveur“ in einer selbst für meine Verhältnisse sehr polemischen Auseinandersetzung mit Jacques Motte, dem Präsidenten des mit der RACP konkurrierenden Vereins Club Francais du Chien de Berger des Pyrénées: BSL verteidigt sowohl seine eigene, von Jacques Motte kritisierte Hündin Berouyette de Lucvielle und mit der gleichen Verve auch Nanouk de Turon im Besitz von André Dardignac.
Um Nanouk und ihm vergleichbare Bergers wird es im Folgenden gehen, denn sie entsprechen nicht ganz dem Wunschtyp des Standards, und dennoch finden sie unter den Spezialisten hohe Anerkennung.
Für die Standardautoren galt es 1923 bis 1925, aus den verschiedenen Taltypen die essentiellen Gemeinsamkeiten zu destillieren. Dabei sind die Unterschiede von Tal zu Tal aber nachrangig für die Standardautoren, das gilt sogar für den Face Rase, der heutzutage gern zu einem Gegenentwurf zum Langhaar-Berger hochstilisiert wird (ich gebe zu, ich habe diesem fundamentalen Irrtum auch 20 Jahre lang angehangen). J. Dhers, ein pyrenäischer Experte der ersten Stunde und langjähriger kynologischer Weggefährte von Bernard Sénac-Lagrange, sagt 1956, dass
ces différences ne portent du reste que sur de secondaires points de détail: Ce sont: le chien à face rase; les variétés du Labéda aux oreilles plates et au fouet en sabre; l’Arbazie, véritable type du standard, de Bagnères, moins distingué; de Cauterets, réellement typique; de Saint-Béat, au crâne beaucoup plus arrondi; d’Azun, petit chien noir qu’un profane pourrait prendre pour un diminutif de Groenendal.
Basis-Typ für den Langhaar-Berger war für die Autoren des Standards von den ersten Entwürfen 1923 bis zum fertigen Text 1925/26 der „Typ von Arbazzie“:
l’Arbazie, véritable type du standard – Arbazie, der wahrhafte Typ des Standards
Ein zweiter Langhaar-Typ, der „Typ von Bagnères-de-Bigorre“, schwingt implizit im Standard mit, das sehen wir auch an der Interpunktion, die Dhers mit Bedacht wählt:
… fouet en sabre; l’Arbazie, véritable type du standard, de Bagnères, moins distingué; de Cauterets …
Die Typen von Arbazie und Bagnères sind lediglich durch ein Komma getrennt, von dem vorhergehenden Typ du Labéda und dem nachfolgenden Typ de Cauterets aber jeweils durch ein Semikolon getrennt, bilden also schon von der Interpunktion her eine relative Einheit innerhalb der Auflistung der verschiedenen Typen. Dennoch ist der Typ von Bagnères nicht ganz ebenbürtig mit dem Leitbild Arbazie ! Dhers qualifiziert Bagnères im Vergleich zu Arbazie als moins distingué, was in unserem Zusammenhang als „weniger charakteristisch“ zu verstehen ist.
Dennoch haben sich schon vor der Erstellung des Standards Züchter auch und ausschließlich für den Typ von Bagnères entschieden, so z.B. Dardignac, sogar wohnhaft in Bagnères, und Louis Barret, hauptberuflich ein Fotograf in Tarbes, wohnhaft aber in Séméac, wo er Nachbar eines anderen BdP-Züchters war, und zwar der Zuchtstätte „de Sémeác“ des Dr. Lacassagne, dessen Farou de Séméac (…mit einem etwas kurzen Kopf…s.u.) auch von Barret als Deckrüde eingesetzt wurde und sich sogar im Ko-Eigentum von Barret befand; auch eine Hündin aus der Zucht „de Séméac“ war im Besitz von Barret: Troye de Séméac mit einer auch heute noch ganz besonderen Fellfarbe, nämlich „blanc sale – schmutziges Weiß“, die er auf der Ausstellung in Tarbes 1924 zwar mitgeführt, aber nicht ausgestellt hat, da er als Ringsekretär tätig war:
Nicht nur mit Lacassagne gab es Ko-Eigentum, auch mit Dardignac, was zu Verwechslungen führen kann: So habe ich im Buch (2000, 1. Band, p. 248) Grisette de Turon Dardignac als Züchter zugeordnet, obwohl sie von Barret gezüchtet ist und daher korrekt Grisette des Gaves heißt. Während Barret selbst selten ausgestellt hat, werden die Hunde aus der Zucht oder im Besitz von Dardignac auf eine Stufe gestellt mit den Hunden aus der Zucht „de Lucvielle“ von Bernard Sénac-Lagrange — besonders von J. Dhers, der als Redakteur für die Zeitschrift „L’Éleveur“ zahlreiche Ausstellungen besucht und rezensiert, so z.B. auch die von Toulouse am 05./06. Juni 1927:
Une excellente classe de chiens de berger des Pyrénées avec notamment les remarquables sujets de M. Dardignac et les chiennes de M. Sénac-Lagrange: aucune comparaison à établir avec l’ensemble vu à Paris.
Nanouk de Turon steht an diesem Tag für die Zucht von Dardignac und somit für den Typ von Bagnères und Calypso de Lucvielle und Amourette de Lucvielle sind die Hündinnen, die Sénac-Lagrange ausgestellt hat und den Typ von Arbazie repräsentieren.
Louis Barret und André Dardignac haben sich eindeutig dem Typ von Bagnères-de-Bigorre verschrieben, Barret bereits seit 1915 (!), als es noch keinen Zuchtverein und keinen Standard gab: Echte Pyrenäenmenschen brauchen keinen Standard! Diesen Typ von Bagnères-de-Bigorre definiert Barret 1931 nach über 15 Jahren Selektion so:
„… avec leur toison longue, le type parfait du berger pyrénéen des régions montagneuses… – mit ihrem langen Fell (sind sie) der perfekte Typ des berger pyrénéen der Gebirgsregionen…“
avec leur toison LONGUE ! Das also ist „langes Fell“, das also ist in der damaligen Zeit der Langhaartyp, wie wir diese Hunde heute bezeichnen würden. An anderer Stelle spricht Barret von
„… une toison abondante … und von dem célèbre étalon „Nanouk de Turon“ considéré à juste titre comme l’un des plus remarquables Bergers des Pyrénées … – ein üppiges Fell … der berühmte Deckrüde Nanouk de Turon (wird) zu Recht angesehen als einer der bemerkenswertesten Bergers des Pyrénées“.
une toison ABONDANTE ! Würde das Fell von Nanouk de Turon heute als „üppig“ bezeichnet?
Im Vergleich zur toison abondante und toison longue unserer Zeit sind bei den Bergers von Barret und Dardignac sowohl die Fellmenge als auch die Felllänge als MODERAT zu bezeichnen!
Barret, aber auch BSL in mehreren Kommentaren geben beide zu erkennen, dass une toison abondante ihrer Meinung nach auch mit dem Milieu zusammenhängt, in dem die Zuchthunde gehalten werden, so schreibt Barret über seine Zuchthündinnen:
„… les lices sont maintenues dans leur véritable milieu, c’est-à-dire au travail des troupeaux – die Zuchthündinnen werden in ihrem wahren Biotop gehalten, d.h. sie arbeiten an der Herde …“
Aber es geht dem Züchter nicht nur um die für die Herdenarbeit richtige Felltextur – mit dieser Haltung seiner Zuchthunde will Barret auch die Mentalität des BdP erhalten:
Pour conserver tout l’influx nerveux particulièrement dominant dans cette race, les lices du Chenil des Gaves sont maintenues dans leur véritable milieu, c’est-à-dire au travail des troupeaux…
Fassen wir zusammen: Der Typ von Bagnères-de-Bigorre gilt in der Zeit der maßgeblichen Standardautoren, also in den 1920er Jahren, als DER Langhaar-Typ, sein Fell wird als üppig und als lang bezeichnet. Mit üppig sind wir schon im Grenzbereich von der zulässigen Felllänge und v.a. der zulässigen Fellmenge angekommen. Und im Vergleich stellen wir heute fest: Die Rasse hat sich verändert, besonders in den letzten 40 Jahren hat sie sich radikal verändert, und das absolut nicht zu ihrem Vorteil: Das Fell ist noch viel üppiger und viel länger geworden als das Fell der langhaarigen BdP der 1920er Jahre – ob die heutigen Hunde an der Herde im Hochgebirge so gut arbeiten wie die Zuchthunde von Barret? Und vollends sind die Cadenetten ein Funktionskiller sondergleichen: Haben die mit üppigem Fell ausgestatteten Zuchthunde von Barret oder von Dardignac Cadenetten? NEIN, haben sie nicht, obwohl ihr Fell von ihrem Züchter als üppig bzw. reichlich bezeichnet wird. In der gesamten Bilddokumentation der Rasse von den Anfängen in der Histoire Naturelle des Comte de Buffon (ca. 1749) über die ersten eindeutigen Darstellungen von BdP ab 1827 ( > https://vom-wunderhorn.de/historische-fotos-dokumente/ ) bis 1978 gibt es meiner Kenntnis nach nur zwei Hunde, die mit Cadenetten ausgestattet sind – und genau die werden von Paul Mégnin, dem Chefredakteur des Éleveur und einem Kynologen par excellence, als untypisch und unfunktional und standard-inkompatibel abgelehnt.
Dabei kommentiert Paul Mégnin sehr differenziert den 1928 in Lyon mit Cadenetten ausgestellten Farou de l’Adour: Er lobt die Felltextur als solche, nur dass der Besitzer sie zu Cadenetten hat auswachsen lassen, ist nicht akzeptabel – Cadenetten gehören ausgekämmt, „pour ne pas dire toiletté!“, wie Mégnin formuliert. Der Typ von Bagnères trägt offensichtlich die Anlage zu Cadenetten, und dieses Faktum ist nicht das Skandalon: Dass die Anlage zum Merkmal ausgeprägt wird, das ist in den Augen der führenden Kynologen der „Gründerzeit“ nicht zulässig und gegen den Sinn des originalen Standards. Daher ist auch die heutige Cadenetten-Mode nicht zulässig und gegen den Geist des Originalstandard gerichtet. Diese Salon-Mode gehört unverzüglich abgeschafft, will man wieder richtige BdP züchten!
Auf der Ausstellung von Lille 1926 sieht Bernard Sénac-Lagrange auch einige Bergers des Pyrénées. Einerseits freut er sich, dass so weit von den Pyrenäen entfernt Hunde seiner Heimat ausgestellt werden, andererseits verurteilt er scharf die übermäßige Fellmenge und Felllänge dieser Hunde: Es sei kein Wunder, dass einige Kynologen den Berger des Pyrénées für einen Abkömmling des Briard hielten, denn die in Lille gezeigten Hunde seien eher kleine Briards als wirkliche Bergers des Pyrénées:
Käme BSL auf unsere heutigen Ausstellungen – egal ob in Frankreich oder in Deutschland oder anderswo -, er wäre schockiert über die kleinen Briards, die ihm und den gutgläubigen Ausstellungsbesuchern als Bergers des Pyrénées „verkauft“ würden.
Es wird höchste Zeit, dass die heutigen BdP-Züchter erkennen: Übermäßige Fellmenge und Felllänge sowie die Cadenetten sind der schlimmste Irrweg, der der Rasse passieren konnte (abgesehen von den fehlerhaften Köpfen). Es gilt heute, sich rückzubesinnen auf die wahren Typen des BdP, als da sind der Typ von Arbazzie an erster Stelle und ihm dicht gefolgt der Typ von Bagnères.
Ein besinnungsloses Weiterso ist konstanter Verrat an der Rasse und hat nichts mehr zu tun mit dem Ideal, das in den 1920er Jahren den Autoren des Standards vor Augen stand in Gestalt von Nanouk de Turon im Besitz von André Dardignac und Grisette des Gaves von Louis Barret für den Typ von Bagnères und Berouyette de Lucvielle von Bernard Sénac-Lagrange sowie Fine Mouche de la Bonne-Brise von Pierre Poey in Pau. Mögen sich die heutigen Züchter an den Zielvorstellungen des ursprünglichen Standards von 1925/26 orientieren – fast 100 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Standards wird es wieder allerhöchste Zeit, dem Original-Standard die Ehre zu erweisen, die ihm zukommt! Im Folgenden stelle ich Modelle vor, an denen sich die heutige Zucht orientieren MUSS, will sie wirklich BERGERS DES PYRÉNÉES hervorbringen und keine kleinen Briards…